So, ich hatte irgendwie Lust kurz vor dem Finale ein Fazit zur 6. Staffel zu ziehen und ein paar Gedanken niederzuschreiben. Alles natürlich ohne irgendein Finale-Wissen
Lost - Staffel 6
Wir schreiben den 22. Mai 2010 - in genau 48 h Stunden werde ich wohl mit dem Wissen aufwachen, dass alles vorbei ist. Mit anderen Worten: Dass das Lost-Serienfinale, die allerletzte Folge, nun schon in den USA gelaufen ist und man nun nichts anderes tun kann als zu warten und zu hoffen, dass sie möglichst schnell in den iTunes-Store aufgenommen wird, um selbst in den Genuss zu kommen. Grund genug also, um noch mal kurz inne zu halten und die 6. Staffel Revue passieren zu lassen. Natürlich wird dieses Bild erst durch das Finale endgültig komplettiert und manches essentielles, was jetzt noch im Dunkeln liegt, wird vielleicht aufgelöst, dennoch lohnt es sich meiner Meinung nach, über die Reise, die wir in der 6. Staffel unternommen haben, kurz nachzudenken. Dabei werde ich einfach
meine persönliche Ansicht schildern und niederschreiben, was mir gefallen und nicht gefallen hat. Okay, here goes nothing:
Die Erwartungen an die 6. Staffel waren riesig und kaum zu erfüllen. Das lag aber nicht nur an uns Fans, die von Lost eben ein gewisses Niveau gewohnt sind und wie selbstverständlich annahmen, dass die letzte finale Staffel alles vorangegangene in den Schatten stellen würde. Denn auch die Macher tragen einen gewissen Anteil an diesen Erwartungen, die durch ihre Promotion-Schiene “Everything will be revealed!” tatsächlich den Eindruck erweckten, dass sie die wichtigsten offenen Fragen aus den letzten 5 Staffeln noch mal aufgreifen würden.
Ich kann ja mal kurz beschreiben, wie ich mir die letzte Staffel in etwa vorgestellt hatte: Das wichtigste war für mich, dass man den Folgen davor irgendwie einen übergeordneten Sinn geben würde. Denn auch wenn uns die Staffeln mit vielen Handlungssträngen und Zwischenstationen beschäftigt haben, so war die erste Frage für mich doch immer: Wozu das ganze? Warum stürzen ausgerechnet diese Personen auf diese Insel? Was ich mir ebenfalls gewünscht habe, war das Zeigen des Urvolks der Insel, für deren Existenz wir ja immer Hinweise wie die Statue oder die Hieroglyphen erhalten haben, was uns helfen würde, die Mysterien der Insel besser zu verstehen. Nebenbei habe ich es schon immer für schwierig erhalten, aus der Dramaturgie heraus Fragen zu beantworten, die schon wirklich lange zurückliegen. Denn wie soll man beispielsweise Walt wieder ins Gespräch bringen, wenn er mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat. Das habe ich mir schon immer schwierig vorgestellt und auch wenn ich dachte, man könnte vielleicht ein kurzes klärendes Gespräch bezüglich solcher Punkte einbauen, habe ich mir dennoch keine allzu großen Hoffnungen gemacht. Aber Antworten wollte ich ohne Zweifel kriegen.
Wollen wir also mal gucken, ob ich denn meine Antworten auch tatsächlich bekommen habe. Diese Frage muss man allerdings mit einer anderen kombinieren: Gab es einen Masterplan? Und ich denke, mittlerweile ist die Antwort klar: Nein, den gab es nicht. Wusste man mit dem Pilotfilm schon, was für eine Nachricht man mit ihrer Geschichte vermitteln wollen würde? Möglicherweise, aber so richtig klar, war da scheinbar noch nichts. Aber ich finde, von diesem Gedanken, der scheinbar teils durch Fans teils durch die Macher entstand, muss man sich lösen. Klar, wenn man damals noch selber nicht wusste, wie man bestimmte Gegebenheiten aufklären würde, dann wird die Auflösung eben etwas krumm. Dennoch werden hier rückwirkend Bezüge zu älteren Episoden hergestellt, zwar nicht in der Menge, in der man es sich anfangs vielleicht gewünscht hätte, aber wir hatten eben Szenen, in denen Jack und MiB zusammen sitzen und dann gesagt wird, dass er für die Christian-Erscheinungen zuständig war. So etwas tut ab und zu gut, doch wer weiß, ob es den Folgen nicht zu viel Tempo genommen hätte, wenn solche klärenden Gespräche an der Tagesordnung stünden.
Ich habe durch die 6. Staffel zwar gemerkt - ja, Lost ist auf keinen Fall perfekt, manches geht eben in die Hose, weil die Produzenten sich da nicht genug Gedanken gemacht haben, doch ich bin der Ansicht, dass das nicht allzu stark ins Gewicht fallen sollte, wenn einem die übergeordnete Geschichte, die hier zu Ende erzählt wird, gefallen hat. Und diese Geschichte haben wir jetzt kennen lernen dürfen. Der Absturz, das Herholen der Menschen, die vor der Ankunft auf der Insel, große Probleme mit ihrem Selbstfindungsprozess hatten, dient also dazu, aus diesem Pott an Kandidaten einen neuen Beschützer für ein Licht zu finden, das dieser Insel wohl ihre Eigenschaften verleiht. Zugegeben, irgendwie ist es schon komisch, wenn man sich vor Augen hält, was die Kandidaten in den letzten 5 Staffeln alles durchlebt haben und zum Endergebnis kommt, dass dies alles für ein bestimmtes Licht passierte, das nun für viele Erklärungen herhalten muss. Insofern kann ich es verstehen, wenn man bei der Enthüllung dieses Punktes nicht sonderlich begeistert war. Aber ich persönlich halte die Geschichte, je mehr ich darüber nachdenke, für wirklich rund und schön und bin eigentlich ganz zufrieden damit, wie nun bestimmte Dinge erklärt werden können. Man muss sich eben darauf einlassen können, dass innerhalb dieser Serie und Geschichte bestimmte Regeln und Gesetze herrschen, mit denen man sich arrangieren muss. Und auch wenn mir manche Dinge schon zu abgefahren waren und ganz klar dem Fantasy-Genre entsprangen (Stichwort Leuchtturm), so hat es mir den Spaß an dieser Geschichte nicht geraubt, da die Geschichte an sich eben rund wirkt. Aber wie gesagt, ich kann verstehen, wenn es anderen vielleicht nicht so leicht fallen sollte.
Ein ganz großes Mysterium, das nun erst im Staffelfinale vollständig gelöst wird, sind nun die Flashsideways, die uns damals einen genialen Opener zum Staffelauftakt beschert haben. Anfangs wurden wir ja völlig im Dunkeln gelassen und es wurde schon gemunkelt, dass dies bloß eine “Was-wäre-wenn-Welt” ohne Substanz wäre, aber auch so hat es mir gefallen, wie die Charaktere von einer anderen Seite beleuchtet und in einem anderen Kontext präsentiert wurden. Spätestens nach der Jack und Ben folge (Lighthouse, Dr. Linus) habe ich an diesem Konzept großen Gefallen gefunden, vor allem, da wir die ganze Zeit darüber gerätselt haben, was dieses Universum nun eigentlich für einen Sinn macht. Bislang habe ich auch noch keine wirklich vernünftige Idee und auch keine Theorie gelesen, die diese Frage schlüssig beantworten würde - und ganz ehrlich: Ich finde es toll, wie konsequent diese Schiene nun gefahren wurde und erwarte nun eine geniale Auflösung im Finale. Und schließlich wurde die Geschichte dort nicht nur spannender, dann kam auch 6.11 Happily ever after! Eine absolut geniale Folge, die nicht nur Hinweise geliefert hat, wie die Verbindung zwischen den beiden Welten aussieht - bzw. dass es überhaupt eine gibt -, sondern auch so einen tollen Ton getroffen hat, dass ich mir diese Folge als erste überhaupt, zwei Mal hintereinander angeschaut habe. Und das trifft meiner Meinung nach auf die gesamten Flashsideways zu. Sie wurden so clever geschrieben und strotzen nur so vor genialen Anspielungen, dass man wirklich Staffel 1 Feeling mit einer gehörigen Portion “Unbekanntes” erlebt und auch wenn noch nicht klar ist, worauf das alles schlussendlich hinausläuft, so kann ich den Machern zu dieser Entscheidung nur gratulieren.
Worüber man auch noch schreiben könnte, wäre das Tempo und die Dramaturgie in dieser Staffel. Also ehrlich gesagt, war ich oftmals nicht wirklich damit zufrieden. Den gesamten Handlungsstrang am Anfang im Tempel und mit der mysteriösen Krankheit fand ich beispielsweise letztlich total überflüssig, weil das eine einmalige Gelegenheit war, Antworten von diesen seltsamen Others zu kriegen, die jedoch nicht vernünftig genutzt wurde. Insofern war ich sehr froh, dass schon in der 6. Folge der Tempel aufgegeben wurde und man schließlich keine Ahnung hatte, wie sich die Handlung weiterentwickeln würde, was der Spannung sichtlich zu Gute kam. Aber auch sonst war die Inselhandlung anfangs eher zäh. Die Charaktere wussten selbst nicht so genau, was zu tun war, warteten entweder ab oder liefen planlos durch den Dschungel und verhielten sich im Allgemeinen eher orientierungslos. Und das, so dachte ich, passte nun wirklich nicht in das Konzept einer finalen Staffel, in der ein Inferno das nächste jagen sollte. Ich hatte eben das Gefühl, man will die Figuren langsam so positionieren, dass dann irgendwann der große Knall folgen würde. Und auch wenn sich dann in der U-Boot Szene von 6.14 all dies entladen konnte, so ist es doch etwas schade, dass dies eben durch diese vorherige Langsamkeit erkauft wurde. Naja, fest steht - der Moment, in dem klar wurde, dass MiB die Kandidaten versammeln möchte, um sie zu töten und nicht wie zuvor gespielt, um mit ihnen die Insel zu verlassen, war in jedem Fall genial.
Apropos MiB: Ich bin extrem froh, dass wir hier keinen platten, eindimensionalen Bösewicht zu Gesicht bekamen. Klar, er tötet und mordet gezielt und das ist alles andere als die feine englische Art, aber in dieser Staffel sind wir diesbezüglich doch sehr verwirrt worden. Das lag natürlich an MiBs Begabung für Manipulation, aber irgendwie kam er anfangs doch sympathisch rüber, indem er klare Antworten gab, wie zum Beispiel das Zeigen der Höhle und die Charaktere generell nicht im Dunkeln lassen wollte, wie sein Bruder es getan hatte. Das hat die Grenzen zwischen Gut und Böse schon ziemlich verwischt. Zwar wurde uns in der genialen Richard-Folge von Jacob verklickert, dass MiB die Insel nicht verlassen darf, da das Böse in die Welt hinausgetragen werden würde und diese somit untergehen würde, aber nach Folge 6.15 Across the sea, in der klar wird, dass er die Insel bloß aus menschlicher Neugier und aus dem Forscherdrang heraus verlassen wollte, weiß ich auch nicht mehr, was von dieser Aussage zu halten ist. Überhaupt scheint Jacob auch nicht der vollständig Gute zu sein. Auch er hat gemordet und trieb sein Spiel mit den Charakteren für einen höheren Zweck. Was ist da besser? Irgendwie genial mit noch so essentiellen Fragen für die pure Grundhandlung ins Finale entlassen zu werden (sofern wir dann auch Antworten kriegen oder gut dadurch geleitet werden).
Nähern wir uns nun also dem Ende (im wahrsten Sinne). Mir hat die 6. Staffel alles in einem sehr gut gefallen und ich hatte erneut sehr viel Spaß, meine Zeit damit zu verbringen, mit bis zur nächsten Folge Gedanken zu machen und zu Knobeln. Die “Wir liefern Schlag auf Schlag alle Antworten!!”-Staffel habe ich zwar nicht bekommen, aber sie verlieh- und das ist meiner Meinung nach das Wichtigste - der gesamten Serie einen stimmigen Rahmen, der durch das Finale hoffentlich noch abgerundet wird. Überhaupt habe ich noch nicht erwähnt, dass so “Kleinigkeiten” wie spezielle Dialoge, starke Charaktermomente und die Musik ebenfalls zum großen Teil dafür verantwortlich zu machen sind, dass ich die finale Staffel sehr genossen habe und sich wahres Lost-Feeling eingestellt hat. Nicht alles wurde aufgelöst, wie ich es mir erhoffte und manches, was mich noch interessiert hätte, wurde höchstens angetippt oder gar nicht behandelt, was bestimmte Ereignisse in den letzten Staffeln irgendwie überflüssig vorkommen lässt (Ägypter, Schwangerschaftsthematik), aber so eine Serie entwickelt sich eben weiter und man muss manche Dinge nun mal in Kauf nehmen. Nun steht uns das grande finale bevor und ich bin einfach gespannt, was die Macher uns mit ihrer Geschichte zum Schluss sagen wollen. Ich freue mich drauf!